2004 / 2005 Pensioniert


Jetzt hat es mich erwischt: zu viele Manager hat die Grossfirma nach der alljährlichen Reorganisation. Die Möglichkeit meiner Frühpensionierung ist für meinen Chef eine willkommene Möglichkeit mit seinem Gewissen ins Reine zu kommen. Nach einer Woche Bedenkzeit stimme ich zu. Manchmal ist es besser nicht zu wissen was auf einen zukommt. Und die Grossfirma schüttet dumm und dämlich viel Geld auf mein Pensionskonto. Ein Jahr später wird sie dann das verlorene Know-How ebenso dumm und dämlich für noch mehr Geld wieder einkaufen.

Und Thea hatte doch alles so schön geplant. Noch 4 bis 6 Jahre arbeiten, dann die selbstgewählte Frühpensionierung, das Pensionskapital in der neuen Wohnung investieren um dann, unter Berücksichtigung der Teuerung, allfälliger Extraausgaben und ohne das Kapital anzugreifen den dritten Lebensabschnitt starten. Aber jetzt schon?  Ist es überhaupt möglich mit dem eigenen Ehemann wärend 24 Stunden im Tag zusammen zu leben? Und wie sieht das finanziell aus. Wenigstens die finanzielle Seite hat sie nach einigen Tagen intensiver Arbeit beantwortet: gut. Aber der Rest?

Die neue Wohnung, vor einem Jahr bezogen,  erweist sich als gross genug für uns Beide. Jeder hat seine Privatsphäre, wir haben Zeit für Gespräche, Rückblicke, Reflexionen. Und ich stürze mich in meine Hobbies: Börse, Mathematik, alternative Energie. Anfänglich völlig überbordend und stressig. Jetzt wo ich mein eigener Boss bin (von Thea mal abgesehen) muss ich erst mal lernen damit umzugehen. Aber es gibt sich.


Ich habe auch die notwendige Zeit das Internet zu durchforsten und mir Gedanken dazu zu machen. Unter anderem auch: wie läuft das in der westlichen Welt und insbesondere in der Schweiz weiter?


Ich bin und war schon immer pessimistisch veranlagt. Auch wenn man diesen Umstand mitberücksichtigt: die Aussichten präsentierten sich nicht rosig. Globalisierung, soziale Schere, politscher Stillstand, entwurzelte Jugend ohne Perspektiven, miserable Altersheime und Betreuung und das zu Preisen, die Wucher bei Weitem übersteigen, Völkerwanderung in Europa mit all ihren Auswüchsen und nicht zuletzt: eine Wirtschaftskultur, die nicht den Menschen dient, sondern diese höchstens benutzt und deren Horizont durch die nächst folgende Bilanz begrenzt ist.


Warum nicht in ein Land auswandern: ein Ostblockland, Brasilien, Thailand oder weiss der Gugger wohin. Auswandern in ein Land, in dem die Kaufkraft des Pensionskapitals um einiges grösser wäre.


Etwas später, ein Nachbar hatte sich wieder einmal unflätig benommen, sagte Thea so nebenbei: manchmal hätte ich Lust nach Bali auszuwandern. Bali, die Wahlheimat ihrer Schwester Judit, die sie schon einige male besucht hatte.


Ja, warum nicht, hab ich mir auch schon überlegt. Sage ich zur völlig perplexen Thea. Denn auch ihr ist bekannt, dass ich nur in Notfällen zu reisen pflege. Aber Auswandern und Reisen ist ja wirklich nicht dasselbe.

Und so einigen wir uns, dass ich mich erst mal in Bali umschauen sollte. Und Thea sucht nach Immobilienfirmen, nach den günstigsten Tickets und erstellt neue, auf Bali ausgerichtete Budgets. Und Judit hat im fraglichen Monat genügend Zeit uns im Land herumzuführen. Und sie freue sich auf unseren Besuch, was ich ihr nur bedingt abnehme, denn sie ist nach Bali ausgewandert um hier ihre Freiheit zu finden und nicht Verwandte.