Realer Alltag

 

Was ich denn so den ganzen Tag treibe, werde ich oft gefragt. Eine unanständige aber typische Frage eines Europäers an einen Ruheständler auf einer Ferieninsel. Erstens erinnere ich mich nicht mehr an all die Details und zweitens ist die Frage so allgemein gestellt, dass sie gar nicht beantwortet werden kann. Soll ich nun zur Antwort geben „das kommt darauf an“ oder „so genau weiss ich das gar nicht mehr“ oder gar „ich weiss es nicht“. Ich würde blöd dastehen. Und genau deshalb ist die Frage unanständig, zumindestens für balinisische Verhältnisse. Nicht so in Europa. Da könnte man problemlos, ohne an zu ecken, zurückfragen: „warum willst Du das wissen?“ um dann nach einigem Hin und Her über die Alzheimerkrankheit des Grossvaters des ursprünglich Fragenden zu reden.

 

Nein diese allgemeine Frage kann und will ich nicht beantworten. Aber die Frage nach dem Verlauf des gestrigen Tag, die könnte ich schon beantworten. Nur das scheint niemanden zu interessieren, denn die Frage wurde noch nie gestellt. Und überhaupt: Wer ist heute überhaupt noch Willens und in der Lage ohne Bild und ohne Ton und ohne Online-Interaktion einen Text, der über eine SMS-Nachricht hinausgeht , vollständig zu lesen und zu verstehen? Aber Dir, lieber Leser, der Du es bis hierhin geschafft hast, will ich diese Frage ungefragt beantworten.

 

Gestern war Montag. Ein Montag nach einer Woche voller Zeremonien. Und somit ein Montag nach einer Woche von übermüdeten, gereizt lächelnden, geistig abwesenden Mitarbeitern (vergleichbar mit der Weihnachtszeit in Europa, nur schlimmer). Beim Morgenessen sprechen Thea und ich uns gegenseitig Mut zu, denn womöglich hätten die Staffs nicht Alles vergessen und gestern hätten sie sich ja ausruhen können und überhaupt wir hätten ein überdurchschnittlich gutes Team beieinander, das selbst die vergangenen Feiertage meistern könne.

 

Wie jeden Montag-Morgen begrüsst Ibu Thea jeden Mitarbeiter einzeln und wechselt ein paar Worte hier und dort. Ausnahmsweise bin ich mal mit von der Partie. Da berichtet Wayan über einen Todesfall im Bekanntenkreis, der auf Blackmagic zurückzuführen sei. Putu der Chefgärtner bestätigt, dass er heute Koman für Instandhaltungsarbeiten am Haus entbehren könne und dass mit den, an die Mitarbeiter gesponserten Kühen (Mikrokredit) alles OK sei. Illu erzählt von der glückhaften Beerdigung der Schwiegermutter und kämpft, unmerklich für Aussenstehende, für den Bruchteil einer Sekunde mit den Tränen. Ketut berichtet von Problemen mit einem Cousin aber man rede nicht mehr miteinander und damit hätte sich das Problem eigentlich erledigt. Und wie immer am Montag begrüsst uns Made kumpelhaft aber doch irgendwie wie der Generalsekretär des Fürsten von Saba.

 

Ich bereite mich auf die Unterhaltsarbeiten des aktuellen Tages vor. Endlich haben wir wieder anständiges Elektrokabel. Damit will ich die letzthin eingebauten Elektrogeräte neu verkabeln, so dass nicht ständig die Hauptsicherung rausspringt. Diese Arbeiten finden hauptsächlich unter dem Dach in luftiger Höhe statt. Aber in luftiger Höhe wird es mir schwindlig. Also werde ich Koman hoch schicken, der besteigt problemlos auch hohe Bäume. Nur von Elektroarbeiten versteht er nicht viel mehr als dass der schwarze Draht immer, der blaue Draht nicht immer und der gelb/grüne Draht (eigentlich) nie elektrisiert. Und selbstverständlich das Wichtigste, dass man vor jeder Arbeit an den Drähten mit dem Messgerät kontrollieren muss, ob die Sicherung auch wirklich ausgeschaltet ist. Meine Vorbereitung besteht darin, dass ich die von Koman erstellten Photos der Elektroverkabelung auf dem Dach sichte und die relevanten heraussuche. Dann fertige ich noch eine Zeichnung an, mit der ich Koman die kommenden Arbeiten erläutern will (wo abhängen, wo zusammenhängen, welche neuen Kabel und Verteildosen usw).

 

Heute müssen unbedingt die Türen im Gästehaus repariert werden“ unterbricht mich Thea. „Jäschjäsch“ gebe ich zur Antwort und wende mich wieder meinen Zeichnungen zu. Es sei aber wichtig, denn bereits in einer Woche käme ja unsere Tochter zu Besuch. Das wäre aber recht aufwändig und ausserdem wollte ich endlich das Elektroprovisorium bereinigen entgegne ich. Jäschjäsch meint Thea, aber es sei wichtig. Also ändere ich die Tagesplanung und bereite mich auch für diese Tätigkeit vor. Die besteht primär aus einem Training in positivem Denken. Wir werden es schon schaffen: die vernagelte Verkleidung unverletzt herunter zu holen und im allseits verzogenen Holz jene Stelle finden, wo man ein Scharnier soweit schräg montieren kann, dass am Schluss das Schloss wieder in das Gegenstück passt ohne dass die Türe am Fussboden streift.

 

Punkt 10:15, nach der Kaffpause, meldet sich Koman. Wir rüsten uns im Workhaus mit dem notwendigen Werkzeug aus und nähern uns vorsichtig dem Gästehaus. Die Analyse des Schadens ergibt, dass nur nach einer Begradigung der Wellen im Fussboden eine echte, dauerhafte Lösung möglich wäre. Und so entscheide ich mich schweren Herzens für die zweitbeste Lösung: das Schloss um 1cm zu versetzen. Dazu benötigen wir aber einen sehr schmalen Stechbeitel. Den schleifen wir uns aus einem überzähligen Schraubenzieher zurecht. Und nach kurzer Zeit lässt sich die Türe wieder verschliessen. Ich hoffe dies hält solange, bis dann all die angesagten Besuche wieder in Europa sind und dort begeistert über all die funktionierenden Schlösser im Gästehaus berichten werden.

 

Soweit so gut. Was noch zu erwähnen ist, dass ich mich beim Schleifen leicht verletzte und dass Putu dringlich nach dem Schleifen und Richten einer Gartenschere verlangte, da er sonst nicht weiter arbeiten könne.

 

Aber wirklich anspruchsvoll war folgende Unterbrechung: Obwohl Made schon mehrmals aufgefordert worden war, das Gartentor zum Strand IMMER zu schliessen, damit der Hund nicht entwischen könne und obwohl er das jedesmal mit einem klaren Jäschjäsch bestätigte, sehe ich gerade noch wie Kira rascher entwischen kann, als ihr Made nachzuschauen vermag. Am Strand hat Kira das Sozialverhalten eines reinrassigen Bali-Hundes: Sie hört und sieht den fürsorglichen Besitzer nicht. Ja es mach sogar den Eindruck, als ob der Hund überzeugt sei, für sein Schicksal selbst verantwortlich zu sein. Ich postiere zwei Gärtner so am Strand, dass wir Kiras Freiheitsdrang bis auf einen kleinen Fluchtweg eingrenzen können und dort,  dank einem meisterlichen Hechtsprung, den mir Kira offensichtlich nicht zugetraut hätte, kann ich sie einfangen.

 

Dann gehts wieder weiter im Gästehaus. Mit einem zweitem Schloss, das aus unerfindlichen Gründen den Türschnapper soweit ins Gehäuse zurückzieht, dass er sich verklemmt. Wir zerlegen den Mechanismus ohne hinter das Geheimnis dieser verwunderlichen Veränderung des Schliess-mechanismus zu kommen. Nachdem wir glückhaft alle Federn wieder vom Fussboden zu den richtigen Stellen gebracht haben, gelingt uns der Zusammenbau bereits nach dem dritten Anlauf. Mit einer zusätzlichen Schaube (Bohren, Gewinde Schneiden, Schraube kürzen) bringen wir dem Schloss wieder bei, wie es sich beim Schliessen zu verhalten habe.

 

Anschliessend kümmern wir uns um die Spalten in den Brettern des Terassenbodens im Gästehaus. Da werde ich wieder unterbrochen. Ein Schlüsselbund sei verloren gegangen. Von Made (dieser Idiot) am Strand. Das mit dem Hund das ging ja noch, der fällt am Strand auf. Aber ein Schlüsselbund verkriecht sich wie ein Krebs im Sand und wird im besten Fall in einigen 1000 Jahren von Archäologen bestaunt werden. Aber er hätte ihn garantiert neben dem Strandtor abgelegt. Sicher? Jäschjäsch, ganz sicher! Ob denn fremde Leute zugegen gewesen wären. Neinnein. Sicher? Jäschjäsch ganz sicher!

 

Ich glaube Made kein Wort. Aber wenn sich ein Balinese mal mit einer Lüge festgelegt hat, dann bleibt er dabei bis in alle Ewigkeit. Und falls er sich dabei in Widersprüche verwickeln sollte so kann er sich jederzeit auf böse Geister berufen und das tut er dann auch, hemmungslos (echt!). Also wurde nichts aus dem Rekonstruieren des Herganges und den daraus abzuleitenden Suchmassnahmen. Also organisiere ich eine breit angelegte Suche. Alle Gärtner sollten sich in einer Linie auf dem Strand aufstellen, zwischen den Personen ca 3 Meter Abstand und jeder sollte beim Gehen die Position in der Linie einhalten und genau seinen Abschnitt absuchen. Vergiss es!!! muss ich mir nach kurzer Zeit eingestehen. Eher macht ein Bali-Hund am Strand auf Kommando einen einarmigen Handstand als eine Horde von Bali-Gärtner einen Suchtrupp. Anschliessend tauscht Thea die Schlösser zu den Toren aus.

 

So, und jetzt können wir uns in aller Ruhe wieder um die Spalten in den Brettern des Terassenbodens im Gästhaus kümmern. Kurz vor dem Mittagessen sind wir damit fertig.

 

Der Nachmittag sollte dann etwas langweilig werden. Ich verletzte mich nicht bei den Arbeiten am Sicherungskasten. Nicht einmal einen kleinen Stromstoss konnte mir der Kasten versetzen. Koman machte auf dem Dach alles richtig (wie die neuen Photos beweisen) und inzwischen laufen alle neuen Elektrogeräte  einwandfrei.