Ein neues Dach

 

Das Schilf für Dächer, Alangalang genannt, prägt das Bild von Bali. Aber nur in den Ferienprospekten. Ein normaler Balinese hat ein Ziegeldach oder zumindest Wellblech. Alangalang sieht man eigentlich nur über den kleinen Kuhställen und als Dachbedeckung für Expat-Villen.

 

Früher sollen die Alangalangdächer 8 bis 10 Jahre gehalten haben. Aber seit 3 bis 4 Jahren ist das Alangalang nicht mehr was es mal war. Heute wird das Alangalang auf Plantagen in 2 Jahren mit viel Dünger und allen möglichen und unmöglichen chemischen Mittelchen hoch getrieben. Ein neues Alangalang-Dach hält heute gerade solange, bis der stolze Hausbesitzer gelernt hat, dass es in Bali für gar nichts eine Garantie gibt. Und das dauert so ca. 2 Jahre.

 

Mein Balifeeling aus dem Ferienprospekt war damals ausschlaggebend für die Wahl eines Alangalang-Daches. Aber inzwischen assoziiere ich mit Alangalangdächern Expat-Villen sowie Ungeziefer, das allmorgentlich auf dem Verandatisch liegt und vor dem Morgenessen weggewischt werden muss.

 

Bezüglich Haltbarkeit versicherte mir der damalige Verkäufer, dass Allangalang-Dächer gut und gern 8 Jahre ihren Dienst verrichten würden. Aber offensichtlich war er nicht auf dem neuesten Informationsstand. Denn unser Dach sah nach 2 Jahren schon recht mitgenommen aus. Ein zwei Jahre hätte es vielleicht noch gemacht. Aber eine Renovation war fällig.

 

Und da die Baumaterialpreise pro Jahr ca. 30% ansteigen und ein Ende der Preissteigerungen noch nicht absehbar ist, entschieden wir uns ein anständiges Ziegeldach einer Renovation vorzuziehen. Dabei kam uns zugute, dass wir bei der Planung des Wohnhauses die tragenden Balken so dimensionierten, dass sie auch für ein Ziegeldach gut genug sind.

 

Als GU wählten wir unseren Gartenlieferanten. Einerseits kennt er die guten Handwerker in der Gegend und andererseits kennt er, als gebürtiger Javanese, die Ziegelproduzenten in Java. Denn die in Bali gebrannten Ziegel sind nur deshalb rot, weil sie sich ob ihrer Brüchigkeit schämen.

 

Als Kontraktor schlug uns der GU den uns bereits bekannten Unternehmer für die damaligen Maurerarbeiten vor. Der genoss mein Vertrauen, wenn man mal davon absieht, dass er nicht in der Lage war die 2% Fussbodengefälle immer in die richtige Richtung anzulegen, sodass wir heute nach einem heftigen Regen die Pfützen von Hand beseitigen müssen. Aber das ist in Bali üblich und völlig normal, es wird von jedermann gemacht. Heute sorgt anstelle des Alangalang-Daches gerade diese Tätigkeit für ein angemessenes Balifeeling.

 

Zielsicher und einem archetypischen Instinkt folgend fand sein Arbeiter unsere beste Aluleiter. Sie bräuchten nur noch einen Hammer und eine Säge, dann könnten sie loslassen.

 

Das erste Stück Alangalang war nach 2 Stunden weg. Und nun klaffte eine knapp 100 m2 grosse Lücke im Dach. Vertraglich hatte ich vereinbart, dass die offenen Stellen dicht und sturmfest mit Blachen abgedeckt werden müssen. Aber für 100 m2 fehlten genügend Blachen und erst recht die notwendigen Seile.

 

Wir organisierten das.

 

Und dann kam der Dachdecker und wollte die ersten Dachlatten festnageln. Ich unterbrach sein Werk und machte auf den Vertrag aufmerksam, der Bohrungen und rostfreie Schrauben vorsah. Ob ich eine Bohrmaschine und den entsprechenden Einsatz ausleihen könne? Es kamen noch ein Meterband, eine Richtschnur, ein Geisfuss, eine zweite Leiter, eine zweite Bohrmaschine, Ersatz für die abgebrochenen Bohreinsätze, ein Pinsel zum Anstreichen der Holzlatten, ein Kompressor zum Spritzen der Unterseite der Ziegel und noch ein paar weitere Kleinigkeiten dazu.

 

Nur die passenden Schrauben hatte ich nicht. Er auch nicht, meinte der Kontraktor meines Vertrauens. Aber der GU versicherte, dass er diese in genügender Anzahl im Süden der Insel gekauft und dem Kontraktor übergeben hätte. Ausserdem hätte der Kontraktor auch ein Budget für den Einkauf der notwendigen Werkzeuge und für das Hilfsmaterial. Aber offensichtlich war der Kontraktor meines Vertrauens ein tüchtiger Geschäftsmann, der seinen Verdienst nicht unnötig schmälern wollte. Erst recht nicht, wenn ich doch alles genau so gut beschaffen konnte.

 

Und dann war die Abdeckung nicht dicht, die Dachlatten teilweise krumm, sodass die Ziegel nicht sauber abdeckten und nach einer Woche waren die 100 m2 immer noch nicht fertig montiert, sodass die vertraglich vereinbarten 5 Wochen (bis zur Regenzeit) nie und nimmer eingehalten werden konnten. Der Kontraktor garantierte uns allen ernstes, dass es bis zur Fertigstellung des Daches nicht regnen würde und er vermutlich in 3 Monate die Arbeiten abschliessen könne. Dass er selbst 4 Wochen veranschlagte und wir noch eine zusätzliche Woche als Reserve einkalkulierten schien er vergessen zu haben. Aber inzwischen hatte ich die Nase voll. Wir forderten den GU auf, einen neuen Kontraktor aufzubieten mit genügend gut ausgebildeten Leuten und dem notwendigen Werkzeug (die Schrauben hatte der Kontraktor meines Vertauens inzwischen rausgerückt).

 

Ich will es kurz machen. Mit dem zweiten Kontrakator klappte es. Aber einige Dinge sind doch noch erwähnenswert:

 

Thea traute der Abdeckung während der ganzen Zeit nicht. Ich eigentlich auch nicht. Aber Thea stresste die Vorstellung von im Sturm zerfetzten Abdeckblachen und der damit verbundene Wassereinbruch auf die Gipsdecke und die darunter liegenden Räume mit ihren Möbeln und Gerätschaften unerträglich stark. Wir waren auf das Können und das sorgfältigen Arbeiten der balinesischen Arbeiter angewiesen. Und wenn ich mir das so im Nachhinein beim Niederschreiben überlege hätte ich eigentlich auch bis an die Schmerzgrenze gestresst sein müssen. Aber ich bin ja ein halbes Jahr länger in Bali als Thea und habe mir schon eine entsprechend grössere Portion jenes unerschütterlichen Optimismus, der die Balinesen auszeichnet, angeeignet.

 

Aber dann kam er dann doch. Der Sturm. Und eine Blache riss sich los und flatterte krachend im Wind. Ich konnte das lose Seilende schnappen und zog daran. Ich musste mich voll in das Seil hängen und freute mich zum ersten Mal über mein Übergewicht. Nur das Seil war etwas zu kurz als dass ich es um einen nahen Holzposten hätte schlingen können. Wie ich später erfuhr suchte mich derweil Thea im ganzen Haus, unser beiden Rufe verhallten im Sturm. Thea befürchtete, dass ich von einem der herunter rutschenden Ziegel erschlagen im Pool liegen würde und spielte bereits bereits zögerlich mit dem Gedanken das erste mal in ihrem Leben zu tauchen. Denn vom Bassinrand konnte man in dem vom Wind und Regen aufgewühlten Pool nichts sehen. Als sie etwas näher an den Poolrand trat konnte ich sie erblicken und mit meinem Gebrüll auf mich aufmerksam machen. Alles wurde gut: Thea brachte ein Stück Seil und gemeinsam konnten wir die Blache wieder festzurren.

 

Das Ganze geschah am frühen Morgen, also in jener Zeit, in der Villa Jepun ganz alleine uns gehört und fast so etwas wie eine Privatsphäre aufkommt. Der Security erholt sich um diese Zeit zuhause vom Schlaf und die Staffs sind noch nicht da. Normalerweise brechen um diese Zeit die ersten Sonnenstrahlen glitzernd durch die Bäume und Vogelgezwitscher begleitet uns beim Morgenessen. Stattdesen schippten wir das Wasser aus der nur noch halb überdeckten Veranda.

 

Etwas später trafen dann die Staffs ein. Und noch etwas später die Dachdecker. Und noch etwas später verarztete Thea meine leichten Brandwunden, die das Seil an meinem Handgelenk hinterlassen hatte. Und dann brach die Sonne durch und das ganze war vergessen.

 

Das Dach brachte auch eine völlig neue Erfahrung. Die begann mit der Kehle am Hausdach. Dort wo zwei Dachflächen eine Rinne bilden in der sich das Wasser sammelt um dann in einem dicken Strahl nach unten zu schiessen, dort ist eine Kehle und auch die grösste Schwachstelle bezüglich Wasserdichtheit. Wie er denn das machen wolle, fragte ich den GU. Er erzählte was von Karet (eine Art von Kunststoff-Dachpappe) und nach einigem Nachfragen von einem 2-jährlich notwendigen Service. Aber ich wollte was Solides. Der Dachdecker erklärte, dass er das mit Beton lösen könnte. Aber ich misstraute dieser Lösung (Gewicht, Risse, Ausdehnungskoeffizienten, Verankerung). Darob war der Dachdekcker so stark in seiner Berufsehre betroffen, dass er beinahe den Bettel hingeworfen hätte. Und dies, ein Balinese mit einem Berufsstolz war für mich eine völlig neue Erfahrung und trotz meiner Verärgerung ein Lichtblick am Horizont unseres Daches. Aber wir schnitten das Thema nicht mehr an und so liefen die restlichen Arbeiten zu meiner Zufriedenheit weiter (wenn mal vom losen Seilende der Sturmblache absieht).

 

Ohne den Dachdecker mit Ausdehnungskoeffizenten zu belästigen suchte ich gemeinsam mit dem GU nach Alternativen für die Kehle. Ich entschied mich für ein Blech aus einer Aluminiumlegierung, die auch in der gesunden Meeresluft ohne regelmässigen Service überleben soll. Allerdings waren für diese Art von Konstruktion zusammengeklebte Doppelziegel notwendig. Aber irgendwie würden wir das schon schaffen dachte ich. Und tatsächlich nach 3 Wochen pröbeln und experimentieren war ich so weit, gerade rechtzeitig in jenem Zeitpunkt als die Kehlen zur Vollendung gebracht werden sollten. Selbst der Dachdecker fand nun Gefallen an der ungewohnten Konstruktion. Und nebst der hübschesten und solidesten Kehle weit und breit bin ich vermutlich auch der einzige Besitzer einer primitiven aber doch funktionstüchtigen Blechbiegevorrichtung.

 

Aber damit noch nicht genug. Wir kamen auch in den Besitz einer Riesenmenge von Weihnachtsgebäck. Denn Thea musste ihrem Stress bezüglich dem offenen Dach irgend etwas entgegensetzen und stürzte sich ins Herstellen von Weihnachtsgebäck Und weil die Dacharbeiten knapp zwei Monate dauerten kam eine entsprechend grosse Menge zusammen. Alle Bekannten, Lieferanten, unsere Staffs und natürlich auch ich selbst versuchen nun dieser scheinbar unerschöpflichen Menge Herr zu werden. Auch an dieser Aufgabe bin ich gewachsen. Schon bald werde ich in der Lage sein, doppelt so grosse Blachen in noch grösseren Stürmen an einem Seilende zu sichern.